Sie und ihre Geschwister müssen schwere Ziegelsteine schleppen, die ihre Haut aufschürfen. Das Gesicht und die Arme sind vom Staub dunkel gefärbt. Zarina ist acht Jahre alt. Ihr Leben in der Ziegelei in Südindien, das aus zehn Stunden Arbeit am Tag besteht, kommt dem Mädchen völlig normal vor. Sie vermisst es nicht zu spielen.
Sie beschwert sich nicht über zu viele Hausaufgaben wie es hierzulande viele Kinder tun. Sie kennt eine solche Kindheit in Freiheit nicht. Tatsächlich hat Zarina noch nie einen Stift in der Hand gehalten. Den Umgang mit Hammer und Meißel dagegen beherrscht sie blind.
Ihre Eltern hatten in einer Notlage von dem Besitzer der Ziegelei einen kleinen Kredit erhalten. Um die Schuld abzuarbeiten, sollten sie für ein paar Wochen zum arbeiten in seine Ziegelei kommen. Daraus wurden zehn Jahre. Weitere frei erfundene Schulden und Wucherzinsen halten die Familie in Ausbeutung und Gewalt fest. Sie können nicht fliehen. Zarina und ihre Geschwister wurden auf dem Gelände der Ziegelei geboren, hinein in die Sklaverei.
In Indien leben 11 bis 12 Millionen Menschen in Sklaverei, unter ihnen 1,2 Millionen Kinder wie Zarina. Sie schuften in Steinbrüchen, Reismühlen, Textilfabriken und viele sogar in Bordellen. Um diesem grausamen Schicksal zu entfliehen, brauchen sie vor allem eins: Jemanden, der für ihre Rechte einsteht und sie aus der Gewalt befreit. Die Menschenrechtsorganisation International Justice Mission (IJM) hat sich dieser Aufgabe verschrieben.
Durch einen Hinweis finden Ermittler von IJM Zarina und ihre Familie. Gemeinsam mit der lokalen Polizei wird eine Befreiungsaktion vorbereitet und durchgeführt. Die Beamten verhaften den Besitzer der Ziegelei. Daraufhin stellen Anwälte von IJM die strafrechtliche Verfolgung des Mannes sicher.
Zwar ist Sklaverei in Indien verboten, doch in vielen Regionen hat das Gesetz keinerlei Durchsetzungskraft. Darunter leiden vor allem die Ärmsten, denn sie haben weder den Einfluss noch die Mittel sich dagegen zu wehren. Viele Täter gehen daher davon aus, dass sie strafrechtlich nichts zu befürchten haben. Darum sendet jedes Gerichtsurteil eine deutliche und abschreckende Botschaft: Sklaverei bleibt nicht ungestraft.
Sozialarbeiter von IJM helfen Zarina und ihrer Familie in einer zweijährigen Nachsorge, in ein selbstständiges Leben zu finden. Zarina geht jetzt in die Schule. Die Schürfwunden an ihren Händen sind verheilt. Ihre Hände nutzt sie nun für ihre neue Leidenschaft: das Malen.
In was für einer Welt wollen wir leben? In einer Welt, in der unsere Kinder sicher sind. In der Sklaverei und Gewalt gegenüber den Verletzlichsten unserer Gesellschaft nicht mit Gleichgültigkeit beantwortet wird. Kinder wie Zarina sind unsere Zukunft. Wir brauchen ihre Stimme.
*Aus Schutzgründen wird ein Pseudonym verwendet.