Tierärztin, Artenschützerin und Moderatorin Hannah Emde spricht mit uns im Interview, wie die Zerstörung natürlicher Lebensräume das Risiko für Zoonosen erhöht, welche Maßnahmen nötig sind, um künftige Pandemien zu verhindern, und warum es höchste Zeit ist, unsere Beziehung zur Natur zu überdenken.
Alle Informationen über Hannah:
Nepada Wildlife e.V., Gründerin, Verein für Artenschutz und Umweltbildung
www.nepadawild.life
„Nachtschicht mit Aras. Als Tierärztin und Artenschützerin im Dschungel“
Buch, Malik Verlag 2024
„Terra X: Faszination Erde“, Moderatorin und Host der Sendung, neue Folgen ab 09. März 2025 und in der ZDF-Mediathek
Weitere Infos:
www.hannahemde.com
Instagram: @hannahemde
Sie setzen sich für den sogenannten “One Health“-Ansatz ein, der die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt als Einheit betrachtet. Was kann man sich darunter vorstellen und wie kann dieses Konzept konkret dazu beitragen, künftige Pandemien zu verhindern?
„One Health“ bedeutet, dass wir die Gesundheit von Menschen, Tieren und Natur gemeinsam denken müssen. Menschen und Tiere sind abhängig von einer intakten Natur, die uns saubere Luft zum Atmen, Nahrung, sauberes Trinkwasser und vieles andere bietet – sonst werden wir krank. Und spätestens seit der Pandemie haben wir am eigenen Leib erfahren, welche enormen Auswirkungen Zoonosen, also Krankheiten, die von Tieren auf Menschen übertragen werden, auf unsere Welt haben können. Wir Menschen müssen uns wieder als Teil des Netzwerks der Natur verstehen. Wenn wir in Natursysteme eingreifen, Lebensräume zerstören oder aus dem Gleichgewicht bringen, hat dies immer auch Auswirkungen auf uns.
Viele neu auftretende Krankheiten stammen von Tieren und können auf den Menschen überspringen. Was sind die Hauptursachen dieser so genannten Zoonosen und wie können sie eingedämmt werden?
Krankheitserreger, die von Tieren auf Menschen überspringen können, gibt es viele. Besonders bekannt ist bei uns die Tollwut, oder auch die aviäre Influenza (Vogelgrippe), die gerade in Deutschland wieder aktuell ist. Dabei gibt es unterschiedliche Übertragungswege: Nutz- und Haustiere, Mücken oder Zecken oder eben Wildtiere. Letztere spielen dabei eine zentrale Rolle, obwohl sie nur noch drei Prozent aller Säugetiere ausmachen. Wildtiere tragen ein großes Reservoir unerforschter Krankheiten in sich. Würden sie weiterhin in ihren intakten Ökosystemen, ohne Kontakt zum Menschen leben, wäre dies kein Grund zur Sorge. Problematisch wird es erst, wenn Menschen mit ihren Nutz- und Haustieren den Wildtieren zu nahekommen. Das kann auf landwirtschaftlich genutzten Flächen sein oder durch Siedlungen, die an den Lebensraum der Wildtiere grenzen. Das kann aber auch bei der Jagd, auf Wildtiermärkten und -farmen, durch den Wildtierhandel oder durch den Tourismus sein. Die Kontaktpunkte nehmen stetig zu. Und die Globalisierung durch Handel und Tourismus sowie der Klimawandel sorgen dann für eine unkontrollierte Verbreitung der Krankheitserreger.
Sie arbeiten eng mit Wildtieren zusammen. Wie schützen Sie sich vor möglichen Krankheitserregern, und welche Vorsichtsmaßnahmen sollten Menschen beachten, die in Kontakt mit Wildtieren kommen?
Bei meiner praktischen Arbeit als Tierärztin und auch während der Dreharbeiten für „Terra X: Faszination Erde“ komme ich Wildtieren sehr nah: In Guatemala zum Beispiel haben wir in einer Höhle Fledermäuse vermessen und die unterschiedlichen Arten bestimmt. In Peru habe ich mit einer lokalen Tierärztin einen Jaguar in Narkose gelegt, der für seine Wiederauswilderung auf Krankheiten untersucht werden musste, oder in Südafrika war ich bei einer Löwen-Operation mitten im Busch dabei. Das sind alles Tierarten, die potenziell gefährliche Viren, Parasiten oder andere Krankheitserreger auf uns Menschen übertragen können. Deshalb ist professionelle Schutzkleidung wie Mundschutz, Handschuhe etc. bei solchen Arbeiten, bei denen man diesen Tieren so nah kommt, sehr wichtig. Ansonsten heißt es bei Wildtieren immer: Abstand halten! Wir müssen uns immer bewusst machen: Wenn wir Wildtieren zu nahekommen, sie füttern und an uns gewöhnen, dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass durch Bisse oder Kratzer oder auf andere Weise unbemerkt Krankheiten übertragen werden.
Wie können wir als Gesellschaft ein Bewusstsein für die Bedeutung des Schutzes von Wildtieren und ihren Lebensräumen schaffen, um sowohl die Biodiversität als auch die menschliche Gesundheit zu fördern?
Bewusstseinsbildung und Aufklärung sind bereits wichtige Schutzmaßnahmen. Das gilt auf der einen Seite für die Länder, in denen viele Wildtiere leben und für ihr Fleisch gejagt oder für den globalen Wildtierhandel verkauft werden. Wenn hier viele unterschiedliche Tierarten auf engstem Raum unter Stress gehalten werden, dann öffnen wir damit den Erregern das Tor zur großen weiten Welt. Ein häufiges negatives Beispiel sind Flughunde, die oft lebend für ihr Fleisch gehandelt werden. Fledertiere haben ein enorm gutes Immunsystem und tragen deshalb ein großes Reservoir an Infektionskrankheiten in sich, ohne selbst krank zu werden. Das heißt, überlebt ein Virus in ihnen, kann es relativ leicht auf andere Säuger, also auch auf uns Menschen, überspringen.
Aber genauso wichtig, ist die Aufklärung vor unserer eigenen Haustür. Der Biodiversitätsverlust, also die Zerstörung von Lebensraum, der Verlust von Artenvielfalt und der Klimawandel spielen ebenfalls eine bedeutende Rolle bei der Verbreitung von Zoonosen. Denn in ihrem natürlichen Lebensraum sind die Krankheitserreger von Flughund, Tigermücke & Co unbedenklich. Erst wenn sie dieses intakte System verlassen müssen oder die Menschen in ihren Lebensraum eindringen, können sie als Zoonose auf uns Menschen überspringen und gefährliche Krankheiten wie Ebola oder AIDS auslösen. Auch die steigenden Temperaturen als Folge des Klimawandels erhöhen das Risiko für Infektionskrankheiten.
Mehr Wärme sorgt dafür, dass sich krankheitserregende Bakterien besser vermehren können. Außerdem begünstigen die milden Winter und warmen Sommer die Ansiedlung neuer Virus-Überträger wie Mücken und Zecken, für die bisher die klimatischen Bedingungen in Deutschland nicht ideal waren. So können Krankheiten wie Zika, Dengue-Fieber oder das West-Nil-Virus auch in Deutschland zum Problem werden. Es ist also ein Win-Win, wenn wir Ökosysteme geschlossen halten, wenn wir Arten und Lebensräume schützen, wenn wir die Wildnis wieder Wildnis sein lassen, wenn wir in Klimaschutz investieren – um diesen Planeten und uns gesund zu halten.
Als Wildtierärztin haben Sie viele Erfahrungen mit Tieren in verschiedenen Teilen der Welt gesammelt. Gab es einen Moment oder eine Begegnung, die Ihnen besonders bewusst gemacht hat, wie eng unsere Gesundheit mit der Natur verbunden ist?
Bei meinem Dreh in Gabun hatte ich das Glück Forschende in den Loango Nationalpark begleiten zu können. Sie beobachten seit zwölf Jahren eine Gruppe von wilden Schimpansen in ihrem ursprünglichen Lebensraum und erforschen dabei ihr Verhalten. Da Schimpansen uns genetisch so nah stehen, sind ihre Krankheitserreger sehr gefährlich für uns.
Aber auch unsere menschlichen Krankheiten können für die Schimpansen den Tod bedeuten, sogenannte Anthropozoonosen. Eine einfache menschliche Erkältung kann für die wilden Schimpansen dramatische Auswirkungen haben, eben weil ihr Immunsystem noch keinen Kontakt zu menschlichen Krankheitserregern hatte und dadurch noch nicht entsprechen ausgebildet ist. Um also keine Gefahr für die Schimpansen darzustellen, mussten wir in Gabun mit dem gesamten Filmteam und den Forschenden sechs Tage lang in Quarantäne, isoliert von anderen Menschen, inklusive Coronatests. Vor Ort näherten wie uns den Tieren immer nur mit Maske, damit wir ihnen und sie uns nicht trotzdem unerwünschte Erreger übertrugen.
Das Gleiche erlebte ich bei den Berggorillas in Rwanda. Menschenaffen sind natürlich ein besonders eindrückliches Beispiel – gerade weil sie uns Menschen so ähnlich sind. Aber, egal wo ich auf der Welt unterwegs bin, ob im Bayerischen Wald, im kanadischen Manitoba oder im thailändischen Dschungel – Natur und Tiere faszinieren mich so sehr und es erfüllt mich mit Glück, sie zu beobachten.
Diese Schönheit und Vielfalt an Lebensräumen und Tierarten haben einen unbezahlbaren Wert. Einfach so, ohne Gegenleistung – auch vor der eigenen Haustür.
BUCHTIPP
“Nachtschicht mit Aras. Als Tierärztin und Artenschützerin im Dschungel”
Buch, Malik Verlag 2024
Mitreißend berichtet sie in ihrem Buch von ihren Projekten und vermittelt eindringlich, warum Exoten wie der Lemur auf Madagaskar und der Bullenhai in Costa Rica gefährdet sind und was wir tun können, um ihren Lebensraum zu sichern. Sie beschreibt, wie die Gesundheit von Umwelt, Tier und Mensch voneinander abhängt und warum der Schutz der Ökosysteme unser oberstes Ziel sein sollte.