Mitten im Krieg kam die indische Ordensschwester Gracy in die südsudanesische Stadt Wau. Was sie dort sehen musste, lässt sie bis heute nicht los. Doch die Erlebnisse ließen eine folgenreiche Entscheidung in ihr reifen.
„Es sind immer die Frauen und Kinder, die am meisten unter Krieg leiden“, spricht Sister Gracy aus Erfahrung. Die gebürtige Inderin lebt seit drei Jahrzehnten in der Region. Die Menschen hier haben viel erleiden müssen – seit den 1950er-Jahren herrscht fast durchgehend Krieg. Zunächst um die Unabhängigkeit vom Sudan, danach um die Macht im neu gegründeten Staat Südsudan. „Viele Kinder kennen nichts anderes als Flucht“, berichtet Sister Gracy. Als sie selbst 1998 nach Wau kam, der zweitgrößten Stadt des heutigen Südsudans, verging kein Tag ohne den Lärm der Maschinengewehre. Oft drangen die Kugeln sogar durch die Wände ihres Hauses.
„Sie gaben mir ihr Baby und fielen tot um“
Diese Zeit hat sich bei Sister Gracy eingeprägt. Tausende Flüchtlinge kamen an, ohne Kleidung, oft hatten sie seit Tagen nichts gegessen. Verzweifelt suchten Mütter nach Rettung für ihre Kinder. „So viele Frauen starben direkt vor meinen Augen. Sie übergaben uns mit letzter Kraft ihre Babys – dann fielen sie tot um.“ Sister Gracy und eine weitere Schwester versorgten die Überlebenden in einem improvisierten Flüchtlingslager. Diese Erlebnisse ließen eine Entscheidung in ihr reifen: „Bis zu meinem Lebensende bleibe ich an der Seite der Frauen und Kinder im Südsudan.“ Heute ist sie Leiterin der von ihr gegründeten Mary Help Association. Gemeinsam mit 220 Angestellten und mit finanzieller Unterstützung von Caritas international aus Deutschland hilft sie den Menschen im Südsudan.
Das Krankenhaus rettet täglich Leben
2014 eröffnete Sister Gracy ihr Krankenhaus. Die Bausteine ließ sie mangels anderer Verfügbarkeit auf ihrem eigenen Grundstück produzieren – seitdem klafft ein fußballfeldgroßes Loch zwischen den Mangobäumen. Heute stellt das Krankenhaus für viele Menschen den einzigen Zugang zu medizinischer Versorgung dar. Es ist gut ausgestattet, selbst ein OP-Saal ist vorhanden. Schwerpunkt ist die Versorgung von Schwangeren sowie die Behandlung kranker und unterernährter Kinder. „In der Regel behandeln wir etwa 200 Kinder gleichzeitig gegen akute oder mittlere Unterernährung“, erklärt Sister Gracy, während sie durch ihr Krankenhaus führt. Der siebenmonatige Säugling Acenj erhält alle zwei Stunden eine Spezialmilch. Seine Mutter Nyanut Kuc ist erleichtert: „Seit unserer Ankunft vor drei Tagen merke ich, dass es ihm bereits viel besser geht“, freut sie sich, während der Kleine schon erwartungsvoll auf die Milchtasse in ihrer Hand zeigt. Nebenan wird Malual, sechs Monate alt, gegen Malaria behandelt. Insbesondere Kinder sterben an dieser Tropenkrankheit. Dabei ist die Behandlung relativ einfach. „Vorausgesetzt, die Kinder schaffen es rechtzeitig zu uns ins Krankenhaus“, sagt Sister Gracy. „Wir retten so viele, wie wir können.“
Vorsorgeuntersuchung: Im Krankenhaus der Mary Help Association bekommen Schwangere dringend notwendige medizinische Unterstützung.
FOTO: SEBASTIAN HAURY/CARITAS INTERNATIONAL
Die erste Hebammenschule des Landes
Einige Jahre zuvor hatte Sister Gracy die erste Hebammenschule des Landes gegründet. Zunächst holte sie Lehrpersonal aus Kenia, Tansania oder Europa. Mittlerweile hat sie so viele Südsudanesinnen ausgebildet, dass das Ausbildungsprogramm auch ohne ausländische Fachkräfte funktioniert. „Dank der vielen hier geschulten Hebammen konnten wir die Situation von Müttern und Babys im Südsudan nachhaltig verbessern“, berichtet Sister Gracy. Irene Ajak, 24, ist eine der Frauen, die in der Hebammenschule unterrichtet werden. Vor drei Jahren hat sie ihre Ausbildung begonnen, in wenigen Wochen steht die Abschlussprüfung an. Ajak liebt ihren Job: „Es ist wichtig, dass wir mögliche Krankheiten frühzeitig erkennen. Insbesondere Malaria ist gefährlich für die ungeborenen Kinder.“ Wenn die Hebammen die Tropenkrankheit bei einer werdenden Mutter erkennen, behandeln sie diese sofort. Falls sie nicht befallen ist, erhält sie Medikamente zur Prophylaxe. Aber auch andere Erkrankungen und Mangelernährung werden geprüft. „Wir empfehlen den Frauen, ihre Kinder hier in der Klinik auf die Welt zu bringen. So können wir bei Komplikationen sofort eingreifen, damit das Baby gesund zur Welt kommt“, erklärt Ajak. Sie freut sich auf die vor ihr liegenden Aufgaben: „Seit ich als kleines Mädchen zur Schule ging, wusste ich, dass ich eines Tages in einem Krankenhaus arbeiten will. Ich möchte Leben retten.“ Diesen Wunsch hat sie mit ihrer Förderin Sister Gracy gemein. Kürzlich hat Sister Gracy einen Herzinfarkt erlitten. Seitdem trägt sie Tabletten in ihrer Westentasche. „Anscheinend bin ich nicht mehr die Jüngste“, sagt die 68-Jährige nachdenklich. Sie hat begonnen, Nachfolgerinnen behutsam an die Aufgaben heranzuführen. Nach Indien möchte sie nicht mehr zurückkehren: „Ich gehöre hierher. Und hier möchte ich auch begraben werden.“ Doch bis dahin dürfte noch eine Weile vergehen. Sister Gracy hat noch einiges vor.
Caritas international
arbeitet seit 2014 mit Sister Gracy zusammen. Das Krankenhaus sowie ein Zentrum für ländliche Entwicklung werden von Caritas international sowie Spenderinnen und Spendern aus Deutschland mitfinanziert. Caritas international ist das Not- und Katastrophenhilfswerk des Deutschen Caritasverbandes und leistet in 77 Ländern weltweit Hilfe. Die Maßnahmen werden von lokalen Partnerorganisationen umgesetzt – beispielsweise von Sister Gracys Mary Help Association im Südsudan