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WIE WOLLEN WIR LEBEN

Menschen brauchen Meer
Im Interview: Uli Kunz – Terra X 

FOTOS: ULI KUNZ

Uli Kunz ist vielen aus der Sendung Terra X bekannt. Dabei ist er nicht nur Moderator und Autor, sondern auch Meeresbiologe und Forschungstaucher, der sich unermüdlich für den Schutz der Meere einsetzt.

Herr Kunz, wie steht es um den Zustand unserer Meere?

Es geht ihnen nicht gut. Die Meere leiden unter klimatischen Faktoren und Veränderungen der Strömungsbedingungen sowie unter einer starken Überdüngung und unter Verschmutzungen, die über die Flüsse in die Ozeane gelangen. Auch durch Überfischung ist die Biodiversität in den Meeren stark reduziert; wir haben etwa 80 bis 90 Prozent der großen Meerestiere verloren. Zudem wird die Fläche der Seegrasfelder, Kelpwälder und Korallenriffe immer kleiner.

Was genau ist Seegras?

Seegras ist ein wichtiger Lebensraum für Tiere, ein Sauerstoffproduzent und ein CO2 -Speicher. Seegraswiesen sind der “Regenwald des Meeres“, der auch in der Nord- und Ostsee wächst. Hier gibt es viele Jungfische, Krebse, Muscheln, kleine Schnecken, die auf dem Seegras sitzen. Diese Unterwasserwiesen sind auch sehr wichtig für die Sauerstoffproduktion.

Vor 100 Jahren gab es sie bis in eine Tiefe von zwölf oder 14 Metern, heutzutage finden wir sie bis maximal sieben Meter. Ein riesiger Lebensraum ist bereits verloren gegangen.

Die Meere leiden unter klimatischen Faktoren, Veränderungen der Strömungen, einer starken Überdüngung und Verschmutzungen.

Wo setzen Sie hier an?

Wir sind Teil eines großen Forschungsprojekts namens SeaStore, das auch untersucht, inwieweit es möglich ist, CO2 im Meeresboden zu speichern. Eine Studie hat gezeigt, dass Seegras ungefähr 30- bis 35-mal so viel CO2 speichert wie eine vergleichbare Fläche Regenwald. Wir entnehmen einzelne Setzlinge aus großen, intakten Seegrasfeldern von Hand und setzen sie an anderer Stelle ein, damit sich das Seegras dort wieder vermehren kann. Auch wenn es bislang kleine Flächen sind, sehen wir, dass es funktioniert. Für den Meeresschutz generell ist es wichtig, möglichst großflächige Räume zu schützen, damit die Natur sich erholen kann. Im Endeffekt ist das ein egoistischer Akt – denn Naturschutz erhält auch den Lebensraum für uns Menschen, der durch die Zerstörung der Umwelt zwangsläufig ebenfalls immer weiter zerstört wird. Wir müssen die Natur schützen, um unsere Spezies zu retten.

Wir müssen die Natur schützen, um unsere Spezies zu retten.

Warum sind Korallen so wichtig für die Gesundheit der Meere?

Korallen leisten einen wichtigen Beitrag zur Artenvielfalt, sie sind ein Hotspot für Biodiversität, ähnlich den Seegraswiesen. Aus dieser großen Vielfalt ergibt sich auch ein konkreter Nutzen für uns Menschen. In den Tropen sind viele Menschen auf den Fischfang angewiesen, weil es dort kaum Alternativen gibt.

Zum Fischen brauchen sie aber gesunde Korallenriffe, denn dort wachsen die Jungfische heran. Auch sind Korallen ein kostenloser, sehr effektiver Küstenschutz. Sie funktionieren wie Wellenbrecher, ohne Korallenriffe erodieren Küsten sehr viel schneller.Auch mit den Korallenriffen wird nicht nur Lebensraum für Tiere, sondern auch für Menschen vernichtet. Wir sehen schon heute, dass Menschen, die an den Küsten und in besonders niedrigen Gebieten wohnen, umsiedeln müssen. Da die Küstenregionen stark besiedelt sind, wird dies sehr viele betreffen, wenn der Wasserspiegel weiter ansteigt. Das birgt das Potenzial für weitere Krisen und auch für Kriege.

Lässt sich der Prozess aufhalten oder kann man ihm entgegenwirken?

Ich konnte zwei Projekte begleiten, die sich mit der Restaurierung und dem Schutz von Korallen befassen. In Moorea in Französisch-Polynesien hat sich eine junge Naturschutzorganisation aus Schülern und Schülerinnen geformt, die Korallen züchtet und aussetzt. Es braucht die globale Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern und einen Austausch zwischen den Projekten. Wir hoffen, eine “Superkoralle“ zu finden, die resistenter gegen höhere Temperaturen ist. Wir müssen jetzt handeln, und das schnell, weil sich die Zerstörung der Riffe aktuell rasant vollzieht. Grundsätzlich müsste das Wasser wieder kühler werden, was aber auf sehr lange Zeit nicht passieren wird.

Wie wirkt sich der Fischfang auf das Ökosystem Meer aus?

Die Überfischung der Meere bzw. die drohende Ausrottung vieler Arten wurde in den letzten Jahrzehnten durch den sogenannten Beifang stark beschleunigt. Viele Arten, die aus Versehen in die Netze geraten – Delfine, Haie, Schildkröten–, ersticken dort. Sie werden aus den Netzen geschnitten, die Kadaver wirft man über Bord.

Nicht nur der Fischfang, auch Müll macht den Meeren zu schaffen …

Plastikmüll, der aus den Flüssen ins Meer gelangt, und auch Geisternetze, also verloren gegangene oder illegal entsorgte Fischereigeräte, sind ein riesengroßes Problem. Das Plastik im Meer wird nicht nur den Tieren zum Verhängnis, über die Nahrungskette nehmen auch wir Menschen Mikroplastik auf, es ist bereits in unserer Blutbahn. In den Geisternetzen verfangen sich Fische und andere Lebewesen und verenden. Die Netze zu entfernen, ist ein sehr aufwendiger und teurer Prozess. Man muss sie zunächst orten und dann Taucher losschicken, die sie vom Meeresboden einsammeln. Im vergangenen Jahr haben wir mit dem Meeresbüro des WWF in Stralsund zusammengearbeitet, um zumindest die Ostsee Stück für Stück von Geisternetzen zu befreien.

Was kann man dagegen tun?

Derzeit ist Plastik überall – In fast allen Gegenständen unseres Alltags. Wir müssen eine Alternative zum Plastik finden, die sich rückstandsfrei im Erdboden und im Wasser zersetzt. Es gibt vielversprechende Forschungsprojekte zu Kunststoffen aus Maisstärke und Milchsäure oder aus den widerstandsfähigen Algen. Aber diese müssen sich erst mal gegen die Lobby der plastikverarbeitenden Industrie durchsetzen.

Verraten Sie uns, was Sie aktuell tun?

Wir sind mit unserer Forschungsgruppe Submaris in den Meeren unterwegs, nehmen an Seegraspflanzungen teil und setzen verschiedene Naturschutzprojekte um.

Ich möchte aber auch die Faszination für diesen einzigartigen Lebensraum teilen und aufrütteln, indem ich das Wissen um den Zustand der Meere publik mache. Wir halten Vorträge in Schulen und Unternehmen, ich schreibe an einem Buch für die “WAS IST WAS“-Reihe und für Terra X im ZDF arbeite ich an mehreren Folgen zum Thema Meer.

Je mehr wir verstehen, dass wir uns als Gesellschaft verändern müssen, desto mehr kommt auch in Gang. Wir müssen einen Weg finden, mit der Natur im Einklang zu leben, nicht gegen sie.

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